Als wir in dieser Zeitschrift das Alphabet der Sucht durchdekliniert haben, waren wir bei dem Buchstaben C auf das Thema der Legalisierung von Cannabis gestoßen. Ich habe damals vertreten, dass ohnehin jeder, der möchte, an den Stoff kommt. Lieber, so argumentierte ich damals sinngemäß, sollte sich die gesellschaftliche Diskussion den Problemen der schleichenden Legalisierung von physischer und psychischer Gewalt zuwenden.


Die Legalisierung von Hasch macht keinen Menschen mehr süchtig, der es nicht sowieso schon ist – außer, wenn Heroin eingemischt ist. Wenn Genussmittel gleichzeitig zu Suchtgiften werden können, dann wäre es nicht schlecht, wenn wir den eigentlichen Bremser der Sucht zu powern versuchen: von der Wiege an den Kindern eine liebevolle Kultur des zwischenmenschlichen Umgangs – auch der Erwachsenen untereinander – anbieten, der keinen Dauerrausch zum Beziehungsersatz benötigt. Geliebte Kinder entwickeln sich oft zu selbstbewussten Erwachsenen, die sich nicht etwas einhelfen müssen, um Körpersäfte zu aktivieren, die eine zufriedene Grundstimmung erzeugen. Dann wäre es wunderbar, wenn die Umgebung so lebenswert gestaltet werden kann, dass man ihr mit keiner Droge in eine Illusionswelt entfliehen muss, in der man früher oder später körperlich, seelisch und sozial eingeht. Manche anderen Faktoren der Anfälligkeit zu Abhängigkeitserkrankungen lassen sich leider nicht so leicht beeinflussen.

Unter solchen Umständen könnte die Legalisierung helfen, dass Menschen aus dem kriminellen Milieu auszusteigen, weil Cannabis wie Alkohol und Tabak in der Öffentlichkeit nur eingeschränkt genossen werden darf. Nebenbei werden so Ressourcen in der Justiz frei. Auch die Reinheit des Stoffes wäre ein wenig besser gewährleistet. Wie bei Alkohol, Nikotin und Coffein gibt es natürlich auch unerwünschte Wirkungen bei Missbrauch von THC – wie etwa eine  Psychose. Dafür gibt es nach bisherigem Wissen keine Toten durch reines THC. So leicht ist das nicht, widersprechen andere: Tote gibt es, wenn angedröhnte Kiffer Unfälle verursachen. Schon jetzt konsumieren 1,5% der Bevölkerung regelmäßig Haschisch, der Prozentsatz wird wohl steigen, wenn Du unbeschwert Dein Tütchen kaufen kannst. Und in den USA, so wissen Eingeweihte, sei der Schwarzmarkt nach der Legalisierung nicht eingeschlafen

Argumente dafür und Argumente dagegen. Der frühere Gegner der Legalisierung Karl Lauterbach ist inzwischen für die Freigabe, weil der Stoff dann besser auf Reinheit kontrolliert werden kann. Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft befürchtet dagegen unter anderem soziale Konflikte. Ich kenne jedoch niemanden, der unter Abwägung aller Umstände die beste Lösung parat hätte. Die beste Lösung wäre, wenn man gar nicht erst nach ihr suchen müsste: Wenn es keine suchterzeugenden Stoffe gäbe, wenn wir im Paradies leben würden. Doch wollen wir das? Keine Verantwortung für nichts haben und warten, bis die gebratenen Hühner angeflogen kommen. Ich definitiv nicht. Und da ich mich nun zu der Behauptung versteige, eine beste Lösung gäbe es nicht, rate ich zu der zweitbesten Lösung. Und welche ist das? Das können wir nur individuell für uns klären und die von uns gewählte Mehrheit wird im Bundestag über ein Gesetz entscheiden.

Egal, was herauskommt, in jeder Entscheidung liegen Vor- und Nachteile. Folglich schlage ich die zweitbeste Lösung vor: Wir gehen sorgsam mit uns und anderen um. Dann brauchen wir weniger Verbote, die uns vor uns selbst schützen müssen. Übernehmen wir Verantwortung und setzen wir uns für unsere guten Argumente ein. Egal, wie es kommt, wir werden mit dem Ergebnis die Verantwortung für unser Handeln nicht los. Im Rahmen dieser Diskussion wird dann vielleicht auch wieder einmal über echten Genuss und Lebensqualität einerseits und Gesundheitsgefahren andererseits gesprochen.

Lassen wir die neue Ampelkoalition doch machen, wenn sie gleichzeitig noch wichtigere gesellschaftliche Konflikte lindert und effektiv gegen den Klimawandel vorgeht. Dann können wir uns nämlich individuell und miteinander darum kümmern, unsere Leber, die Lunge und das Hirn durch Verzicht oder Mäßigung gesund zu halten – den Genuss also woanders zu suchen. Es lohnt sich nach meiner Erfahrung übrigens, in schwierigen Lebenslagen und Konflikten (besonnen) nach „zweitbesten“ Lösungen zu suchen, weil die besten Lösungen oft einfach nicht erreichbar sind.    

AnDi