Diesen Satz habe ich während meiner Zeit als Suchtherapeut mit einigem Unbehagen häufig gehört. Oft bestand ein Zusammenhang mit unerfreulichen Anforderungen, etwa der Klärung der weiteren Beziehung mit der Ehefrau, der Anfrage des Arbeitgebers, wie lange er ausfalle oder der Bitte der Therapeutin zum Gespräch. Jemand, der mit großem Schreck feststellen muss, dass er mit seinem Körper, seiner Seele und seinen sozialen Kontakten völlig aus dem Gleichgewicht gebracht ist, dem kann man ja eigentlich auch nur dringend anraten, an die Rettung seiner Existenz – also an sich –  zu denken.


Dennoch konnte ich diesem Satz nie so recht ganz zustimmen, weil ich befürchtete, dass die Betroffenen einem Missverständnis erlegen sind. Gerade, wenn ich auf die Hilfe anderer angewiesen bin, kann ich nicht nur an mich denken. Ich stehe nicht allein in dieser Welt und bin auf andere Menschen angewiesen. Ein Abhängigkeitskranker braucht einen Arzt, eine Beratungsstelle, eine Selbsthilfegruppe und manchmal noch viele andere mehr, um wieder auf die Beine zu kommen, wenn er eine Abstinenzentscheidung getroffen hat.


Das gilt natürlich für alle Menschen in den verschiedenen Situationen des Lebens. Ja, es kann richtig sein, sich für kurze Zeit aus dem Alltagsleben mit den anderen Menschen zurückzuziehen, vielleicht um eine Bilanz der eigenen Situation zu erstellen oder auf den Boden der Realitäten zurückzukehren.


Aber spätestens nach einer Auszeit brauchen wir unsere soziale Umgebung wieder, um mit den Dingen des Lebens fertig zu werden. Das fällt mir gerade auch in der nun schon eine gefühlte Ewigkeit dauernden Pandemie im Zusammenhang mit den Ungeimpften auf: Weil keine Impfpflicht besteht, haben sie das Recht, sich nicht gegen Corona impfen zu lassen. (Das vergessen vor allem diejenigen, die jetzt durch die Hintertür Druck ausüben). Bei diesem Problem liegt es auf der Hand, dass wir nicht allein leben, sondern voneinander abhängig sind. (Das vergessen manche Impfskeptiker, wenn sie nur an ihr individuelles Recht denken). Diese Abhängigkeit hat jedoch, wie ich finde, sehr positive Seiten. Sie macht deutlich, wie wir im Zusammenleben voneinander profitieren können mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen. Deshalb ist die Impfung eben nicht nur unsere private Entscheidung, sondern auch eine Verantwortung für uns alle gemeinsam. „Ich muss nur an mich denken“ heißt deshalb wohl  auch, dass ich meine sozialen Beziehungen im Blick behalte. Mir kann es auf Dauer nur gut gehen, wenn es den Menschen in meiner Umgebung auch gut geht.


Manchmal weiß ich nicht, was ich dazu beitragen kann. Dann frage ich eben jemanden! Dann rede ich mit einem Menschen meines Vertrauens, der es gut mit mir meint! Ich habe in meinem Leben lernen dürfen, dass Menschen, mit denen ich einen dauerhaften Kontakt aufrechterhalte, mir in schwierigen und verzweifelten Situationen aufzeigen konnten, worum es jetzt geht. Das ist nicht immer angenehm, wenn ich merke, dass ich in einer Lebensphase oder mit einem Problem meinen Kompass aus den Augen verloren habe. Aber meist sehr hilfreich, wenn mir ein Mitmensch wieder eine mögliche Richtung weist.


An mich denken heißt zumeist auch, die anderen mitzudenken. Vielleicht bedeutet es für einen Menschen, der sein Leben nicht weiter mit Drogen schädigen will: Ich muss mich wieder den Mitmenschen zuwenden, um zu mir zurückzufinden.


Was ist das allerdings jeweils im Einzelnen bedeutet, darüber sollten wir besonnen sprechen. So kommen zu neuen Erkenntnissen für unser Wohlergehen, die wir möglicherweise auch wieder anderen zur Verfügung stellen können.

Das nenne ich Solidarität, meint AnDi.