„Gewaltloser Pazifismus ist gut als Beschreibung eines Endzielzustandes, als visionäre eschatologische Malerei, nicht als Anleitung zum Handeln morgenfrüh. Und nennt dieser Pazifismus sich selber ‚radikal‘, so muss gesagt werden, dass er radikal ausschließlich in seiner Verwirklichungs-Unfähigkeit, in seiner politischen Impotenz, in seiner Ohnmacht  gegen die menschliche Bestie ist. (…) Der revolutionäre Pazifismus hat immer wieder ausgesprochen, dass Pazifismus eine Doktrin des Ziels, nicht des Weges ist; dass der Weg zum Ziel durch Blut führen kann.“ (Kurt Hiller: Ist der Pazifismus tot? In: Die Neue Weltbühne. 15. November 1934, S. 1442ff.) 

 
Den Frieden zu schaffen ohne Waffen ist ein Ziel, das es zu erreichen gilt. Sich der Gewalt hinzugeben kann nicht vor der Verantwortung für die Erhaltung oder Schaffung des Friedens im Kriegszustand schützen. Ein Aggressor, der Vernichtung von Menschenleben für eine Ideologie propagiert, kann nicht mit Worten gestoppt werden. Daher ist eine  Verteidigung mit Waffen auch für Pazifisten eine, wenn auch schreckliche,  Alternative. Es ist noch nicht gelungen, alle Machthaber von den Vorteilen des Weltfriedens zu überzeugen. Putin vertritt eine Idee von der Weltmacht Russlands, die ihn in seiner Vorstellung  zum Krieg legalisiert, auch zum Völkermord. Durch Verzicht auf Gewalt nicht  zur Eskalation beitragen zu wollen, macht ihn real mächtig. Zum Schutz des Existenz- und Lebensrechts ist ein Verteidigungsrecht im Einzelfall akzeptabel und notwendig, um Leben zu retten. Wäre die Verhinderung der Wiederbewaffnung nach dem 2.Weltkrieg innerhalb des Landes und in Übereinstimmung mit den Westalliierten gelungen, hätte Deutschland sich auf humanitärer Ebene engagieren können. 

In der aktuellen Situation sehe ich daher keine andere Lösung als die konsequente Unterstützung der Ukraine – begrenzt mit wirksamen Waffen zu ihrer Verteidigung. Mein Pazifismus ist ein Ziel, keine  Ideologie. Niemand bleibt ohne Schuld, wenn es tatsächlich um den Erhalt von Menschenleben geht. Sollte es wieder eine Art Frieden geben, gilt es wieder Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden. Diese Entscheidung  ist selbstverständlich nicht widerspruchsfrei. Wer aber Waffenlieferungen gänzlich ablehnt steht in der Verantwortung für die vielen Menschen, die wehrlos nicht einmal ihr eigenes Leben schützen können. Wer, wie ich, mit großem Unbehagen seinen Pazifismus in einer  heißen Auseinandersetzung mit Waffen verteidigt, bewegt sich auf der Rasierklinge.  

Wirklich gefährlich handelt aber auch, wer sich für machtlos erklärt und sich auf die Beobachterposition zurückzieht.  

Gott gebe mir mehr Weisheit, so mein Gebet in diesem Zweifel um redliches Handeln. Nach der Erfahrung des Schweigens der Vielen im Nationalsozialismus wird es nicht mehr so einfach sein, sich einer Meinungsbildung zu entziehen.
 
Dr. med. Andreas Dieckmann